Translation und Moderne

Über die Dekonstruktion des europäischen “Originals”

Einleitung

„Entwicklungshilfe“ für die „Dritte Welt“, der „Westen“ als Ideal; Bilder die zu einem großen Teil in der Moderne entstanden sind prägen unser Weltbild bis heute. Alleine die Trennung in „Westen“ und „Osten“, „Norden“ und „Süden“ und die damit verbundenen Konnotationen zeigen eine Weltordnung, in der Hierarchisierungen Alltag sind. Selbst die Globalisierung kann unter näherer Betrachtung als westliche, ökonomische Narrative dekonstruiert werden. Auf diese Diskrepanzen zwischen westlichem Diskurs und Realität wird diese Arbeit anhand unterschiedlicher Ansätze der Translation eingehen.
Das forschungsleitende Vorhaben dieser Seminararbeit soll die Untersuchung der Beziehung von Translation und Hegemonie sein, wobei die Moderne als hegemonialer Kontext untersucht wird. Ein Fokus wird auf Nationenbildungsprozesse und daher auch auf Identitätsformationen in der Moderne gelegt um die Beziehung zwischen Translation und Hegemonie näher zu betrachten. Die Forschungsfrage soll heißen: Inwiefern kann Translation als eine Kritik der Moderne verstanden werden? In diesem Rahmen wird die ethnozentrische Perspektive Europas, dargestellt und gedacht im Sinne eines übergeordneten, europäischen Originals, diskutiert sowie Translation als aktiv in der Konstruktion und Reproduktion von Machtbeziehungen bearbeitet werden.
Im ersten Kapitel wird Translation zuerst vorgestellt und in Geschichte und Diskurs verankert um ihr hegemoniales Potential im weiteren Verlauf diskutieren zu können. Translation wird hier auf der einen Seite als eine Art der Unterdrückung, des Silencing und auf der andren Seite als emanzipatorische Möglichkeit besprochen. Im ersten Kapitel soll außerdem die Moderne diskutiert werden, da sie als geschichtlicher Kontext und Ausgangspunkt für die Diskussion dient. Darauf folgend werden Nationalstaatenbildungsprozesse, verortet in der Moderne, auf ihren Zusammenhang mit Translation hin untersucht. Als Abschluss dieses Kapitels soll die Rolle der Translation in der Moderne erörtert werden.
Im zweiten Kapitel wird Translation vordergründig als Metapher diskutiert. Die Schaffung eines europäischen „Originals“ wird mit Hilfe postmoderner und dekolonialer Ansätze dekonstruiert. In diesem Abschnitt wird Translation hinsichtlich eurozentrischer Vorstellungen besprochen. Für diesen Zweck werden am Anfang des Kapitels Kritiken der Moderne vorgestellt. Im Besonderen wird auf Okzidentalismus und die rationale und daher universalistisch gedachte Wissensproduktion eingegangen. Ein weiterer Aspekt des Ansatzes der Translation als Metapher ist das „sich übersetzen“ von marginalisierten Gruppen. Dieser wird am Ende des Kapitels besprochen.
Am Ende der Arbeit wird an Hand Homi Bhabha (2004) Translation als Produktionsstätte, die neue Subjektpositionen möglich macht und jenseits von Konzeptionen wie „Original“ und „Kopie“ funktioniert, untersucht. Wolfs (2008) und Simons (1997) Auslegungen zu Bhabha werden in Konversation gebracht um Bhabhas Ansatz einer kulturellen Translation in die Tiefe zu besprechen. Danach wird dargelegt, wie das Konzept der kulturellen Translation statische Räume aufbrechen und den Diskurs jenseits der Moderne verlagern kann.
Es soll demnach einerseits die Rolle der Translation in der (Re)Produktion von Hegemonien im Falle der Moderne und des darin (und seither) stattfindenden Eurozentrismus erforscht werden. Auf der anderen Seite wird Translation auch als Möglichkeit für das Aufbrechen von Strukturen diskutiert, da sie das Potential hat die Willkürlichkeit von Machbeziehungen aufzudecken. Translation wird als Ausgangspunkt für einen Schritt aus den Denkstrukturen der Moderne besprochen. Ziel ist es, das Bild des „europäischen Originals“ zu dekonstruieren und die Rolle der Translation darin sichtbar zu machen.

Hegemoniale Translation und translatorische Hegemonie

Translation ist hegemonial, sie steht im Dienste der Machthabenden da sie Bedeutungsgrenzen und so Wissensgrenzen zieht (vgl. Vázquez 2011: 27). Andererseits ist Translation ein Mittel um gegebene Hegemonien zu hinterfragen, sie macht Pluralität (plurality) möglich. Um in weiterer Folge näher auf diese zwei divergierenden Prozesse einzugehen wird am Anfang dieses Kapitels die Moderne besprochen und definiert. Sie stellt den hegemonialen Kontext dar, auf den in dieser Arbeit eingegangen werden soll. Nationalbildungsprozesse werden dargelegt als ein mit der Moderne in Zusammenhang stehendes Beispiel für die hegemoniale Macht der Translation. Es wird gezeigt, wie Translation in der Nationalbildung aktiv war und wie sie In- und Exklusionsprozesse prägte. Am Ende des Kapitels wird erörtert, inwiefern Moderne und Translation in Verbindung stehen und gezeigt, wie Hegemonie translatorisch sein kann.

1.1. Die Moderne, eine Perspektive

Der Duden Online (2018) definiert die Moderne als „die moderne, neue oder neuste Zeit [und ihr Geist]“ Eine zeitliche Eingrenzung der Moderne ist schwer zu treffen, bezieht sie sich doch auf je nach Domäne andere Perioden und ist sie in ihrem Gedankengut doch noch zu einem großen Teil bestehend. Eine zeitliche Einordnung soll jedoch auch nicht der Hauptbezugspunkt dieser Definition von Moderne sein. Der für diese Arbeit ausschlaggebende Bezugspunkt ist der vom Duden Online genannte „Geist“ der Moderne, welcher sich durch seine Modernität und damit Neuheit auszeichnet. Auch der Abschnitt „neuste Zeit“ der genannten Definition des Dudens Online ist relevant. Hier zeigt sich die gedachte Logik einer Entwicklung, auf deren höchsten Stufe die Moderne stünde (vgl. Ivekovic 2008: 45). Diese „entwickelte“ Moderne stünde über anderen, in der dichotomen Logik als traditionellen bezeichneten, Temporalitäten und hebe sich von diesen ab.
Die Moderne, so wie sie in dieser Arbeit verstanden werden soll, ist eine Perspektive. Trouillot (2003: 2) beschreibt die Moderne als ein North Atlantic universal. Um auf diese Notion näher einzugehen, muss zuerst der Begriff North Atlantic eingegrenzt werden. Europa zusammen mit den USA wird oft als „Westen“ bezeichnet. Trouillot vollzieht in ihrer Definition eine klare Trennung zwischen dem „Westen“ als gedachter Ort und „North Atlantic“ als geographische Einheit. Der „Westen“ bezieht sich somit auf die mit dem „North Atlantic“ konnotierten Werte und Assoziationen und nicht auf ein geographisch existierendes Territorium. Die Moderne als ausgehend von dieser Lokalität ist eine solche Assoziation. Sie (re)produziert, gemeinsam mit anderen North Atlantic universals wie „Entwicklung“ und „Globalisierung“ das Bild des „Westens“. North Atlantic universals legen die Perspektive des nördlichen Atlantiks um auf die gesamte Welt und lassen sie als allgemein gültig wirken: „They offer visions of the world.“ (Trouillot 2003: 35)
Ein weiterer Punkt der die Moderne als Perspektive entlarvt ist ihre enge Verknüpfung mit dem Kolonialismus (vgl. Mignolo 2011: 3). Mignolo, einer der bekanntesten Vertreter von Dekolonialitätstheorien, versteht die Moderne als eine Narrative Europas, welche einen Großteil der hinter ihr stehenden Geschichte verdeckt. Europa projiziert laut Mignolo, ähnlich wie Trouillot (2003) dies in ihren Ansätzen für den nördlichen Atlantik beschreibt, eine bestimmte Vision als universal welche globale Abhängigkeiten verdeckt. Für Mignolo (2011) sind Moderne und Kolonialismus Teile desselben Phänomens, auch wenn die Moderne die bevorzugte Narrative des „Westens“ darstellt. Die Moderne würde es demnach ohne Kolonialismus nicht geben. Der Kolonialismus ist offiziell vorüber, schwarz auf weiß gibt es keine Kolonien mehr. Koloniale Abhängigkeiten haben jedoch auch noch heute Bestand (vgl. Quijano 2007: 171). Dieses Phänomen bezeichnet Quijano als Kolonialität (coloniality), welche er wie Mignolo (2011) als konstitutiv der westlichen Moderne versteht.
Die Moderne ist eine der Narrativen, die Europa, und heute den gesamten nördlichen Atlantik, als Entwicklungsspitze darstellt (vgl. Quijano 2000: 542f). Der westliche Teil Europas nimmt sich selbst als neu und modern wahr – als weiter entwickelt als der Rest der Welt. Dieser Standpunkt wurde durch wissenschaftliche Theorien unterstützt und durch die Annahme und Ausbildung einer rationalen Logik verbreiteten, sodass die Vision sich über Europa hinaus erstreckte (vgl. Quijano 2000: 543). Als die Spitze der linearen Entwicklung, die sich durch ökonomischen Erfolg abzeichnet, wurde und wird die Moderne gesehen. Unterstützt wurde diese Annahme etwa durch den Aufstieg der USA von einer Kolonie zu einem Teil des Westens. Argumentiert wurde, dass die USA „Modernität“ besser inkorporieren könnte als etwa Latein Amerika.
Die Vorstellung einer linearen Entwicklung zeigt sich wissenschaftlich etwa in Entwicklungs- und Modernisierungstheorien. Ein Beispiel für Entwicklungstheorien ist sozialer Evolutionismus der unter anderem in den Theorien Lewis Henry Morgans (1964) beschrieben wird. Morgan war Anthropologe sowie Mitbegründer der Ethnologie und ging in seinem Werk „Ancient Society“, wie für den sozialen Evolutionismus üblich, von 3 Entwicklungsstufen aus. Laut ihm durchlaufen alle Gesellschaften diese Stufen linear: von der tiefsten Stufe Wildheit geht es über die mittlere Stufe der Barbarei zur höchsten Stufe der Zivilisation. Die Zivilisation wird mit Europa und ihrer Moderne gleichgesetzt.
Die Ansichten der Entwicklungs- und Modernisierungstheorien wurden kritisiert und größtenteils abgelöst von Dependenztheorien und später dekolonialen Ansätzen die Dependenzen in ihre Analyse mit einbezogen. Franks (1966) Dependenztheorie legt die Basis für spätere Theorien zu Abhängigkeiten, wie etwa die genannte Verknüpfung von Moderne und Kolonialismus/Kolonialität. Franks Ansatz ist die „Entwicklung der Unterentwicklung“, mit dem er zeigt, wie sich die Entwicklung mancher Länder (Metropolen) auf die Unterentwicklung anderer Länder (Satelliten) stützt und von ihr profitiert. Wird die Geschichte Europas und der USA als universal wahrgenommen verschwimmt die Geschichte der restlichen Weltbevölkerung. Lineare Entwicklung im Sinne der Kategorien des nördlichen Atlantiks wird erstrebenswert und die Moderne ein zu erreichendes Ideal. Die Rolle des Kolonialismus und die fortwährende Rolle der Kolonialität im Aufbau und der Erhaltung eines „modernen“ Nordatlantiks wird dabei nicht beachtet, sie wird durch unterschiedliche Prozesse – unter anderem auch Translation – verschleiert. Im Folgenden wird analysiert welche Rolle die Translation in der Verbreitung der Moderne hatte und im Verlauf der Arbeit wie Translation andererseits auch Teil der Kritik an der Moderne wurde. Im nächsten Abschnitt wird Translation näher besprochen und als Mechanismus der Unterdrückung sowohl als auch der Emanzipation vorgestellt.

1.2. Die Bandbreite der Translation

Translation kann laut Castelli (1990: 30f) nicht vollständig definiert werden. Ihr sind zu viele Aspekte inhärent um sie hinreichend abgeschlossen definieren zu können. Translation steht in Verbindung mit den Komplikationen und den Feinheiten der Sprache. Diese sind je nach Sprache spezifisch, sie variieren und sind auch für eine Sprache nicht homogen. Eine Definition der Translation wäre damit in ihrer Präzision nie ausgeschöpft. Translation ist Kommunikation, Kreation, Übertragung, Aggression, … Eines jedoch ist für Castelli sicher, nämlich dass der Versuch einer Definition der Translation nicht ohne eine Philosophie der Sprache auskommt. Die Antwort auf die Frage, ob Translation eine Bewegung zwischen Sprachen oder Kulturen ist, basiert auf einer bestimmten Ansicht auf Sprache. Wie kulturell ist Sprache und somit Translation?
Wolf (2008: 78f) unterscheidet zwischen dem linguistischen, herkömmlichen Übersetzungsbegriff und der „kulturelle Übersetzung“ . In den 1980er Jahren herrschte ein recht enger Übersetzungsbegriff, Äquivalenz von Ausgangs- und Zieltext stand im Vordergrund. Dies änderte sich durch den funktionalen Ansatz nicht maßgeblich, der Blick wurde jedoch auf den „Skopos“, den Zweck erweitert. Die kulturelle Wende in Geistes- und Naturwissenschaften war es, die auch Translation wendete und Konzepte, Modelle und andere Ansichten richtungsweisend modellierte. Makrokontext und geschichtlicher Rahmen erlangten an Wichtigkeit. Kultureller Transfer und kulturelle Probleme wurden nun auch in der Translation auf der Diskursebene anstatt auf der Textebene wahrgenommen.
„Translation does not happen in a vacuum, but in a continuum.“ (Bassnett/Trivedi 1999: 2) Translation, laut Bassnett und Trivedi, ist ein Prozess des interkulturellen Transfers, ein manipulativer Akt. Sie ist verwoben in einem Netz aus Bedeutungen und findet fast nie zwischen zwei ausgeglichenen Systemen, Texten, Autoren statt. Ihnen ist eine Hierarchie innig. Translation ist mehr als Sprache, sie ist kulturell, sie ist politischer Kontext, sie ist Geschichte (vgl. Bassnett/Trivedi 1999: 6). Auch Ivekovic (2008: 45) bezeichnet Translation als politisch und abhängig von Kontext und Machtbeziehungen. In dieser Arbeit wird Translation in Anlehnung daran auf Diskursebene und involviert in Machtkontexte verstanden. Handelt es sich im Spezifischen um linguistische Übersetzung wird dies explizit gemacht. Translation als aktiv in Machtbeziehungen wird in den nächsten Absätzen als konstitutiv sowie als destruktiv dieser Machtbeziehungen besprochen.
Translation macht Kommunikation möglich, ist diese jedoch einseitig, verschieben sich und zeigen sich darin asymmetrische Machverhältnisse (vgl. Selim 2009: 3). Die anglo-amerikanische Hegemonie zeigt sich demnach immer noch in der Einseitigkeit der Translation. „Translation was a means both of containing the artistic achievements of writers in other languages and of asserting the supremacy of the dominant, European culture.“ (Bassnett/Trivedi 1999: 6) Während des Kolonialismus wurde Translation verwendet um diesen erst möglich zu machen. Basierend auf Mignolo (2011) macht Translation somit auch die Moderne, als untrennbar verbunden mit dem Kolonialismus, erst möglich.
Heute sind asymmetrische Machtbeziehungen noch nahezu deckungsgleich mit den Linien der ehemaligen kolonisierten und kolonisierenden Weltregionen (vgl. Bassnett/Trivedi 1999: 13). Ein weiterer Punkt in dem Translation heute als Unterdrückung gesehen werden kann ist die Wissenschaft. Wissenschaften wie die anglo-amerikanischen Gender und Cultural Studies basieren zu einem großen Teil auf Translation (vgl. Simon 1997: 463). Diesem Fakt wird jedoch, erstens, wenig Wichtigkeit zugemessen und die Translationspraktiken werden, zweitens, nicht hinterfragt. Ergebnisse werden auf Englisch herausgegeben, andere betroffene Sprachgruppen werden nicht in Betracht gezogen. Translation steht also in reziproker Beziehung mit Machtverhältnissen und Sprachregimen, sie wird dadurch geprägt, reproduziert sie jedoch auch.
„Translation as an activity of and at the borders, as the in-between multiple knowledges holds unique possibilities of emancipation.“ (Vázquez 2011: 29) Denn Wissen steht zwischen Hegemonie und Emanzipation und wenn dieses Wissen durch Translation genutzt werden kann wird Emanzipation möglich (vgl. Vázquez 2011: 29f). Das Potenzial der Translation steckt für Simon (1997: 463) vor allem in der Möglichkeit aufzudecken, wie Ideen und Konzepte geformt werden. Somit werden durch Translation als gegeben angenommene Tatsachen als konstruiert und arbiträr entschleiert, Translation zeigt Grenzen und andere Konstrukte auf. Die Art und Weise wie Ideen konstruiert werden wird im folgenden Unterkapitel an Hand des Beispiels von Nationenbildung gezeigt um daraufhin die Ausbreitung der Moderne und die Rolle der Translation darin kritisch zu besprechen.

1.3. Moderne und Translation – eine Beziehung

Die Perspektive der Moderne breitete sich über die Grenzen Europas hinweg aus. Translation spielte darin eine wichtige Rolle, sie konstruierte das Territorium der Moderne und überschrieb davor existierende lokale Narrativen. Diese Rolle wird im zweiten Teil dieses Kapitels, 1.3.2. Ausbreitung der Moderne durch Translation, eingehender besprochen. Im ersten Abschnitt wird näher auf die Konstruktion von Nationen eingegangen um an Hand dessen die Macht der Translation zu zeigen. Nationen standen zu dem eng mit der Moderne in Verbindung, auch Nation kann im Sinne Trouillots (2003) als North Atlantic universal verstanden werden und Nationenbildung . Translation wirkte für die Nation ähnlich wie während der restlichen Moderne: im Dienste des Imperiums.

1.3.1. Translation für die Nation

Die Bildung der Nationalstaaten ist ein Charakteristikum der Moderne (vgl. Escobar 2008: 211). Der Translation kam dabei eine entscheidende Rolle in der Kategorisierung und Homogenisierung der nationalen Identität zu. Das Interesse an Nationalbildungsprozessen und der Rolle der Translation darin entstand in den Translationswissenschaften sowie in den Geschichts- und Kulturwissenschaften in den 1980er Jahren (vgl. Gipper/Dizdar 2015: 7). Das Interesse rührte aus der Erkenntnis, dass Grenzen vielmehr politisch als kulturell sind (vgl. Ivekovic 2008: 45). Somit bestehen Nationen nicht aus einem präexistenten Territorium, sie werden aktiv entlang politischer Interessen geformt und sind von Machtbeziehungen geprägt. Der Translationswissenschaft kommt in der Erforschung von Nationalbildungsprozessen eine entscheidende Rolle zu. Die Homogenisierung der kulturellen Identität, auf die Nationen klassischer Weise aufbauen, ohne Translation nicht in dieser Form möglich gewesen wäre (vgl. Karvounis 2015).
Das Forschungsinteresse der Translationswissenschaften an den Nationalbildungsprozessen besteht darin, „übersetzerische Kulturtransferprozesse historisch als originäre Katalysatoren des ‚nation-building’ zu begreifen“ (Gipper/Dizdar 2015: 8). Translation ist demnach nicht nur aktiv in der Bildung von Nationen sondern war auch eine der antreibenden Kräfte zu Beginn dieses Prozesses. Ein weiteres Forschungsinteresse liegt in den Übersetzungspolitiken, es wird untersucht wie Nationalstaaten kulturelle und politische Aspekte steuern und wie in weiterer Folge Übersetzungen aktiv in der Ausübung hegemonialer nationaler Interessen sind.
Kristmannsson (2015: 17) sieht die Rolle der Translation in der Bildung von Nationen in der Konstruktion von Nationalliteraturen. Er sieht nämlich einen bestimmten nationalen Literaturkanon als einen der Grundsteine einer neuen Nation und ihrer Identität. Dieser Grundstein wird laut Kristmannsson unter anderem durch Translation möglich gemacht. „Fremdes“ wird durch sie zu „Eigenem“ übertragen und das „Eigene“ damit erst geschaffen. In diesem Sinne konstruiert Translation die Identität einer Nation durch die Verwendung von „fremder“ Literatur. Diese Verwendung der „fremden“ Literatur wird jedoch nicht ersichtlich gemacht, sie wird als „Eigenes“ inkorporiert. Karvounis (2015: 110) teilt diese Meinung:
„Sprachliche Eigenständigkeit im Sinne einer (modernen) Standardsprache entwickelt sich zwangsläufig auch über Übersetzung. In vielen Fällen, wenn nicht sogar in der Regel, geht die übersetzte Literatur des Anderen/Fremden der eigenen („nationalen“) Literatur voraus.“
Karvounis unterstreicht vor allem den Nutzen der Translation für „junge“ Nationen. Um eine Nationalsprache zu standardisieren und für alle Bereiche der Nation zu verwenden sind Übersetzungen essentiell. Prozesse der In- und Exklusion sowie der Definition des Eigenen und des Fremden sind vor allem zu Beginn eines Nationalstaates wichtig für dessen Selbstbewusstsein als Nation. Die Untersuchung der Rolle der Translation in Nationalbildungsprozessen ist in diesem Sinne ideologiekritisch: sie hinterfragt Annahmen der Homogenität und Reinheit in Nationen (vgl. Gipper/Dizdar 2015: 8). Hier ist jedoch andererseits hinzuzufügen, dass die Translationswissenschaft mit stark naturalisierten Begriffen wie „Kultur“ und „Sprache“ arbeitet, die eng an die Konstruktion von Nation gebunden sind (Gipper/Dizdar 2015: 10). Damit wird das Bild einer Einheit und einer natürlichen Homogenität von einer Kultur und einer Sprache in einer Nation bestärkt.
Ein Beispiel für die Anwendung von Translation in der Bildung von Nationalsprachen ist die Übersetzung der Literatur aus der Antike nach dem Mittelalter (vgl. Nyongwa 2012: 33f). In der Renaissance, im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, wurden vor allem von Frankreich und England die antiken Klassiker in die jeweilige nationale Sprache übersetzt. Dies erwies sich als die Basis für die darauffolgende intellektuelle Revolution im 17. und 18. Jahrhundert.
Sprache ist eine Konstante in der Bildung von Nationen, womit laut Karvounis (2015: 113) die Nation als Notion ihre Wurzeln schon im sich davor entwickelten Sprachpatriotismus hat. Sprachpatriotismus war somit für ihn eine Vorstufe und Notwendigkeit für Nationalismus. Literatur und Übersetzung wurden benutzt um Kultur und Sprache herauszubilden. Dies war eng mit einem Sprachpatriotismus verbunden, der zusammen mit Merkmalen wie Abstammung, Kultur und Religion in einem bestimmten regionalen Kontext zur Bildung einer kollektiven und in weiterer Folge nationalen Identität führte (vgl. Karvounis 2015: 115).
Translation war ein wichtiger Faktor in der Bildung von Nationen. Sie wirkte durch die Bildung von Literaturkanons auf die Bildung von Nationalsprache und -kultur ein und half bei der Abgrenzung von „wir“ und „den Anderen“. Translation kann somit als Grenzziehung (bordering) gesehen werden (vgl. Gipper/Dizdar 2015: 9). Minderheiten werden aus einer Sprechergruppe ausgeschlossen, was sie durch die oftmals gedachte Einheit von Sprache und Nation gleichzeitig außerhalb der nationalen Gemeinschaft stellt. In- und Exklusionsprozess können auch im nächsten Unterkapitel in der Besprechung der Ausbreitung der Moderne durch Translation beobachtet werden. Der Fokus des nächsten Unterkapitels liegt jedoch darauf, wie Translation in der Ausbreitung der Moderne wirkte.

1.3.2. Ausbreitung der Moderne durch Translation

Wie in Kapitel 1.2. Die Bandbreite der Translation besprochen ist Translation ein schwer zu definierender Begriff. Diese Offenheit der Definition lässt Raum für unterschiedliche Verwendungen des Begriffes, die über den literarischen Übersetzungsbegriff hinausgehen und das Potenzial haben Prozesse und Perspektiven wie die Moderne kritisch zu hinterfragen. Translation ist in diesem Sinnen nicht mehr bloße Übertragung zwischen zwei Sprachen, sie verkörpert die Macht Grenzen zu ziehen und zu hüten. Vázquez (2011) erweitert den Translationsbegriff in diese Richtung.
„The notion of translation is extended beyond its practice in literature to speak of how it designates the border of a system of knowledge, of modernity’s epistemic territory. Thus, here, translation is thought beyond the realm of literature as a constitutive practice of modernity, that is, as a necessary practice for the hegemony and expansion of modernity’s epistemic territory.“ (Vázquez 2011: 28)
In der Moderne wurde Translation zu einem Mechanismus der Kolonialität und machte diese gleichsam sichtbar (vgl. Vázquez 2011: 29, 31). Vázquez definiert Translation über die Literatur hinausgehend und wendet den Begriff für die Regulierung von Grenzen eines gewissen Gedanken- und Wissensgut an. Er beruft sich in seinem Text auf Theoretiker wie Mignolo (2011) und integriert dadurch dekoloniale Ansätze in seine Forschung. Translation macht laut Vázquez die Ausbreitung der Moderne erst möglich. Übersetzt wurde in der Bildung und während der Moderne in eine Richtung und damit immer im Sinne des Imperialismus. Übersetzung diente als Inkorporationsmechanismus – das „Andere“ (other) wurde durch Translation zu einem Teil der Moderne. Gleichzeitig wurde es durch die Übersetzung überschrieben und ausgelöscht: Translation wirkte an der Grenze der Moderne, sie hütete diese Grenze und erweiterte sie nach Belieben (Vázquez 2011: 27).
Translation wirkte während der Moderne auf zwei Ebenen: „On the one hand, an economy of appropriation and expansion of modernity’s epistemic territory, and on the other, the active rejection, the making invisible of modernity’s elsewhere, of modernity’s others.“ (Vázquez 2011: 33) Translation ist Selektion und Klassifikation, sie nimmt ein und löscht aus – in Übereinstimmung mit dem Ziel der Moderne: Kolonialismus (vgl. Vázquez 2011: 33f).
Die Auslöschung durch Translation basierte während der Moderne unter anderem auf Unübersetzbarkeit (vgl. Vázquez 2011: 37). Es kann nur das übersetzt werden, für das es auch Kategorien und Begrifflichkeiten gibt, beziehungsweise das, was aus europäischer Sicht beobachtet werden kann. Somit fällt jenes, dass außerhalb der europäischen, „modernen“ Lebensrealitäten liegt, außerhalb der Translation, weil es aus europäischer Sicht nicht existent ist. „What is erased belongs to the temporalities and the spatialities of other social realities.“ (Vázquez 2011: 37) Notionen die sich Europa aneignete verloren Teile ihrer Bedeutung, verloren an Tiefe. Sie wurden eingeordnet in die in der Moderne existierenden Kategorien. „Land“ ist zum Beispiel nicht gleich „Land“, die mit dem Wort verbundenen Assoziationen sind kulturspezifisch. Somit waren die Konnotationen in vorkolonialer Zeit andere als die übersetzte Notion vermuten ließe. „Land“ erstreckte sich über die Gegenwart hinaus. Die Notion beschrieb nicht nur einen geographischen Ort, sie beinhaltete Erinnerung und Erbe. Ein weiteres Beispiel für den Verlust von Konnotationen durch die koloniale Translation ist Sprache/Palabra. In einem nicht kolonialen Verständnis beinhaltet diese Notion das Gedächtnis, sowie die Ahnen und Ahninnen. Es beschreibt einen Ort der Gemeinschaft, einen Ort der geteilt wird. Somit existiert Sprache/Palabra nur in der Vielzahl. In einem kolonialen Verständnis wird Sprache/Palabra zum Instrument der Kognition. Das Individuum eignet sich die Sprache als Eigentum an. Europäische Konnotationen traten in der Translation in den Vordergrund: „Modern epistemic translation has been the imposition of an economy of truth, of a notion of language as textuality, of time as chronology, of presence as the site of the real, of gender as dichotomy, and so forth.“ (Vázquez 2011: 38)
Translation und Moderne sind eng verwoben. Die Perspektive der Moderne wurde mit Hilfe von Translation ausgeweitet, lokale Geschichten wurden überschrieben und das Bild einer „modernen“, „europäischen“, „entwickelten“ Wahrheit wurde erschaffen. Die Hegemonie der Moderne war also in dem Sinne translatorisch, als dass sie erst durch Translation möglich wurde. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird gezeigt, wie sich das Bild einer Wahrheit noch heute auswirkt, wie es kritisiert und dekonstruiert wird und wie Translation als Kritik daran verstanden werden kann und diese möglich macht.

2. Translation als Metapher

Translation kann in mehrfacher Hinsicht als Metapher gesehen werden. Für ein tieferes Verständnis der daraufhin diskutieren Problematik werden zu Beginn dieses Kapitels Ansätze besprochen, die der Moderne kritisch gegenüberstehen. Hier wird näher auf die Konstruktion von Wissen und der „westlichen“ Notion der „rationalen“ und daher „objektiven“ Wahrheit eingegangen. Darauf aufbauend wird das europäische „Original“ anhand einer metaphorischen Verwendung der Translation besprochen und dekonstruiert. Daraufhin wird „sich übersetzen“ im Sinne eines Anpassens an aber auch Entschleiern von Machtpositionen diskutiert. Der Fokus dieses Kapitels liegt somit auf Translation als Metapher, wobei Translation auch wie im ersten Teil der Arbeit besprochen und definiert Teil der Diskussion bleibt.

2.1. Kritiken der Moderne

Kritik an der Moderne kommt aus verschiedenen Richtungen und theoretischen Ansätzen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie den „westlichen“ Diskurs dekonstruieren, essentialistischen Vorstellungen zu etwa einer linearen Entwicklung entgegensteuern und die Moderne als eurozentrisch entlarven (vgl. Escobar 2008). Zwei dieser Ansätze sind Postmodernismus und Dekolonialität. Postmodernismus löst die Versprechen der Moderne, zum Beispiel Freiheit und Gleichheit, in einem gewissen Sinne erst ein und hinterfragt sogleich die Wissensproduktion der Moderne. Dekolonialität, schon erwähnt anhand Mignolo (2011) und Quijano (2000, 2007), hebt globale Abhängigkeiten in den Vordergrund und kritisiert eurozentrische Vorstellungen von Modernität und Entwicklung. Die zwei für diese Arbeit wichtigsten Kritikpunkte an der Moderne werden nun dargelegt: Okzidentalismus und die darin aktive Wissensproduktion.

2.1.1. Okzidentalismus

„Westen“, „Okzident“, „Peripherie“, „Dritte Welt“ und „Osten“ sind alles Lokalitäten, konstruiert und verbreitet durch Okzidentalismus (vgl. Coronil 1996: 52). Okzidentalismus ist der Diskurs der den Nordatlantik, um auf Trouillot (2003) zurückzukommen, auf ein Podest stellt. Er konstruiert den „Westen“, beschreibt seine Attribute und repräsentiert seine Logik. Er verschleiert. Coronil (1996: 56) eröffnet die theoretische Debatte um Okzidentalismus basierend auf Edward Saids (1986 zitiert nach Coronil 1996: 56) „Orientalism“. Er kritisiert, dass Said den „Westen“ als gegeben betrachtet und argumentiert, dass es für die Konstruktion eines „Orientalimus“ einen vorangehenden „Okzidentalismus“ geben musste, der die Repräsentation des „Westens“ steuerte.
Die Basis des Okzidentalismus ist eine Trennung in „wir“ und „die anderen“, die den „Westen“ als „Eigenes“ festhält und den „Rest“ als „Fremdes“ subordiniert (vgl. Coronil 1996). Diese Kategorien wurden polarisiert und hierarchisiert und befinden sich im Einklang mit der dichotomen Denkweise des Nordatlantiks. Mignolo (2000: 13) präzisiert, dass Okzidentalismus während der Kolonialzeit verwendet wurde um Zugehörigkeiten in ein hierarchisches System zu kategorisieren, in dem die Kolonisierenden über den Kolonisierten standen. Ein Subordinieren des „Fremden“ ist geschichtlich keine neue Erscheinung, Ethnozentrismus geht prinzipiell von einer höheren Wertigkeit des „Eigenen“ aus – was also ist das Besondere am Okzidentalismus?
„What is unique about Occidentalism, as I define it here, is not that it mobilizes stereotypical representations of non-Western societies, for the ethnocentric hierarchization of cultural difference is certainly not a Western privilege, but that this privilege is intimately connected to the deployment of global power.“ (Coronil 1996: 56)
Okzidentalismus war und ist demnach aktiv in der Ausbreitung der globalen Vormachtstellung des „Westens“ und seiner Werte. In diesem Zitat wird außerdem eine Verbindung zu Eurozentrismus deutlich. Dieser ist dem Okzidentalismus inhärent. Eurozentrismus entstand während der Moderne und prägte diese, sowie die davon noch bestehenden Denkmuster, bis heute (vgl. Kozlarek 2000: 71f). Kozlarek (2000: 72) argumentiert, dass der Eurozentrismus die Moderne durchdrang und ihre Kultur beherrschte. Somit ist Eurozentrismus kein normaler Ethnozentrismus, er wirkt nicht von außen nach innen, sondern von innen heraus.
Vázquez (2011: 29) definiert den Eurozentrismus über eine Lokalität, die er als verbunden mit einer epistemologischen Gewalt versteht. Diese Lokalität ist das schon in Kapitel 1.3.2. Ausbreitung der Moderne durch Translation anhand von Vazquez vorgestellte epistemologische Territorium der Moderne, die Fläche auf der die Logik der Moderne sich ausbreiten konnte. Er fasst dies unter dem Begriff modernity’s epistemic territory zusammen. Damit spricht er einen wichtigen Punkt, auf den sich Okzidentalismus und Eurozentrismus stützen, an: Wissensproduktion.

2.1.2. Wissensproduktion, Rationalität und Kolonialität

Kozlarek (2000: 80f) sieht Eurozentrismus als basierend auf die Einteilung in Subjekt und Objekt, wobei sich das Subjekt durch seine Rationalität und allgemeingültige Vernunft auszeichnet. Rationale Vernunft erhebt den Menschen in der Moderne zum Subjekt, Menschen die sich nicht in der Logik der Moderne befinden bleiben Objekte, beziehungsweise werden zu Herrschaftsobjekten die es zu „zivilisieren“ und „entwickeln“ gilt. Hier kommt es somit zu einer Einteilung in Kolonisierende und Kolonisierte wobei die Rolle der Kolonisierenden als Entwicklungsbringer legitimieret wurde (und im Diskurs um Entwicklungshilfen etc. noch wird).
Kolonialismus, und damit auch die Moderne, ist nicht nur die Unterdrückung von Symbolen und Glaubensvorstellungen, sondern vielmehr die Unterdrückung von alternativen Formen der Wissensproduktion (vgl. Quijano 2007: 177). Somit werden Denkweisen überschrieben und ausgetauscht, Wertsysteme verändern sich und europäische, „westliche“ Wertehierarchien treten an die Stelle der davor existenten Systeme. Durch die Ausbreitung der Hierarchie in der die Kolonisierenden dank ihrer Rationalität und ihres Subjektstatus über den Kolonisierten steht folgt eine Selbstdiskreditierung der Kolonisierten. Die rationale, „universalistische“ Wissensproduktion, die Quijano als kapitalistisch und imperialistisch präzisiert, versteht Quijano unter Eurozentrismus. Quijano (2007: 177) argumentiert somit ebenfalls, dass das Konzept der Rationalität in der Moderne entstand, für sie wirkte und den Kolonialismus legitimierte da sie die Kolonisierenden als „Entwicklungshelfer“ positionierte. Die Legitimierung verlief laut Quijano über die Schaffung einer einzig wahren Realität über den Weg der Rationalität. Vázquez (2011: 30) hackt hier mit seinem epistemologischen Territorium der Moderne ein. Die Wissensproduktion der Moderne, ihre Vorstellung der Logik und der rationalen Vernunft sind es, die das epistemologische Territorium der Moderne ausmachen und damit soziale Ungleichheiten fördern. Rationalität war und ist Teil des Weltsystems zwischen Moderne und Kolonialität.
Das epistemologische Territorium der Moderne ist der Ort an dem der Diskurs der Moderne wirkt, es ist die Moderne (vgl. Vázquez 2001: 28). Die Ausbreitung des Territoriums erfolgt durch Überschreibung und Inkorporation, Reduktion und Ansteckung. Hier kommt auch Translation, wie schon teilweise besprochen, eine wichtige Rolle zu: „Modern epistemic translation is the operation of subsuming difference under an established framework of legibility, of certainty.“ (Vázquez 2011: 38) Translation in der Moderne geht nicht von einer bestimmten Sprache aus. Sie geht aus von einer bestimmten Wahrheit – der Wahrheit Europas Moderne.

2.2. Das europäische „Original“

Translation spielte eine zentrale Rolle in der Kreation der westlichen Zivilisation und ihrer intellektuellen Basis (vgl. Simon 1997: 474). Kolonisation, und somit die Moderne, wären ohne Translation nicht möglich gewesen (vgl. Bassnett/Trivedi 1999: 3). Darauf wurde im Kapitel 1.3.2. Ausbreitung der Moderne durch Translation schon näher eingegangen. Eine globalisierte Welt bedeutet auch eine „übersetzte“ (translated) Welt, in der Wissen nicht singulär, sondern plural ist (vgl. Simon 1997: 462). In wie fern existiert diese plurale, globalisierte Welt jedoch schon tatsächlich? Um zu einer Antwort zu kommen wird in diesem Unterkapitel die Geschichte des europäischen „Originals“ aufgerollt und die Implikationen für heutige Lebensrealitäten analysiert.
Auch wenn es durch funktionale Ansätze geschwächt wurde, hält das Original in der Translation einen besonderen Platz ein (vgl. Bassnett/Trivedi 1999: 2). So entstanden literarische Kanons, in denen manche Texte, auf Grund ihrer Originalität oder Nähe zum Original, einen höheren Stellenwert haben als andere. Dies war jedoch nicht immer so. Das Original erlangte seinen Rang erst nach dem Mittelalter, als der Buchdruck erfunden wurde und Eigentum eine tragende Rolle zu spielen begann. Die Idee des „Originals“ entstand somit in etwa zur Zeit der ersten kolonialen Expansion Europas, als Europa begann sich Territorien anzueignen. Dies verlief parallel zu einer Einteilung Europas als Original und der Kolonien als seine Kopien – oder Übersetzungen (vgl. Bassnett/Trivedi 1999: 4). „The colony, by this definition, is therefore less than its colonizer, its original.“ (Bassnett/Trivedi 1999: 4) Diese Aufteilung kann als Teil des Okzidentalismus gesehen werden, ist eine Einteilung in Kolonisierende und Kolonisierte doch eines seiner charakteristischen Attribute.
Translation fand laut Bassnett und Trivedi (1999: 5) während der Kolonialzeit nur in eine Richtung statt. Demnach bestand kein Austausch, sondern europäischer Konsum. Chakrabarty (2015: 55f) geht genauer auf die übersetzerische Beziehung ein und kommt zu einem anderen Schluss. Er argumentiert, dass Translation nicht nur in eine Richtung ging. Es finden sich nicht nur europäische Kategorien außerhalb ihres Umfeldes, sondern sind auch Begriffe wie „Kaste“ und „Mantra“ in Verwendung in Europa. Der Unterschied, beschreibt er, ist, dass Europa beziehungsweise die USA sich Kategorien „ausborgen“ können während die konstruierten „Anderen“ des Westens diese Möglichkeit nicht haben. Chakrabarty zieht hier Kreditwürdigkeit als Metapher heran: einen Kredit bekommt nur jemand, der privilegiert ist.
Europa und später der gesamte „Westen“ bekamen also eine Sonderstellung, die eines Originals. Dies basierte auf Rationalität, auf Okzidentalismus und Eurozentrismus und reproduziert gleichzeitig diese Konstrukte. Die Geschichte des „Westens“ wurde als universal dargestellt. Universalistische Konstrukte sind jedoch letztlich immer noch konstruiert und verschleiern Pluralität und Abhängigkeiten:
„Models of universality are more often the reflection of figures of domination. We can wonder, however, if the idea of a unified common culture ever in fact became historical reality. Those spaces which were identified as universal (the great humanist tradition, the canon of great books, the public spaces associated with democratic communication, the model of culture which sustained the ideal of citizenship) have been exposed as being exclusionary. The universality attributed to these vectors of culture turns out to have been supported by the silencing of differences.“ (Simon 1997: 475)
Wird sichtbar, dass die Universalität nur konstruiert und Rationalität als ein Mechanismus der Unterdrückung benutzt wird, wird klar, dass das europäische „Original“ weder erstrebenswert, noch original ist. Basierend auf Spivak (2008: 181) kann festgehalten werden, dass eine plurale und globalisierte Welt fernab der Realität liegt. Globalisierung ist für sie nicht nur politisch, sondern in erster Linie kommunikativ – es geht für sie um eine gemeinsame Geschichtsschreibung und Kommunikation (vgl. Spivak 2008: 188). Heute zu sagen, dass Globalisierung Gegenwart ist kommt für Spivak (2008: 181) Kolonialität gleich, da die Reisefreiheit für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung eingeschränkt ist und Staatsbürgerschaft für Mobilität ausschlaggebend ist. Translation macht diese Kommunikation und plurale Geschichtsschreibung laut Vázquez (2011: 29f) möglich. Emanzipation wird durch Zugang zu einem pluralen Wissen möglich, und Translation, als aktiv an, zwischen und transzendent von gedachten (Wissens-)Grenzen, hält den Schlüssel dafür.

2.3. Sich in Machtgefüge übersetzen

„Translation, as a tangible representation of a secondary or mediated relationship to reality, has come to stand for the difficulty of access to language, for a sense of exclusion from the codes of the powerful.“ (Simon 1997: 462) Kategorien sind, wie schon besprochen, ein wichtiger Teil der Moderne. Dekonstruiert man die Moderne, so bleiben Konzepte wie „Westen“ und „Entwicklung“ ohne Kontext. Im Kontext der Moderne sind es jedoch genau diese Konzepte, an die Privilegien gebunden sind. Deshalb wird Translation hier herangezogen, um die „Übersetzung“ in die Kategorien und Denkweisen der dominanten Gruppe zu veranschaulichen (Simon 1997, Castelli 1990).
Simon (1997: 462) verwendet Translation als Metapher für diejenigen Personen und Gruppen, die zwischen zwei Welten stehen. Zwischen zwei Welten stehen für ihn etwa Frauen in einer patriarchal geprägten Welt beziehen oder neu in ein Land Zugezogene, die auf Grund seiner Herkunft und/oder Religion marginalisiert werden. Simon beschreibt damit, wie sich Personen aus einer, in eine andere Welt „übersetzen“. Castelli (1990: 25) teilt diesen Blick auf Translation. Sie sieht Translation als Metapher für die gemischten Erfahrungen, die Subalterne (im Kontext der Moderne vor allem Frauen und außerhalb der Grenzen des „Westens“ Geborene) in der dominanten Kultur erleben, heran. Dies wird von den Castelli und Simon als eine Art Überlebensstrategie in den dominanten Machtstrukturen gesehen. „Women ‚translate themselves’ into the language of patriarchy, migrants strive to ‚translate’ their past into the present.“ (Simon 1997: 462)
Chakrabarty (2014: 53) geht ebenfalls näher auf das Konzept des „sich Übersetzens“ ein und wendet es spezifisch im Zusammenhang mit der Moderne und dem für ihn mit der Moderne in Verbindung stehenden kapitalistischen System an. Er erörtert, wie sich Menschen oder eine bestimmte Historizität in den globalen Kapitalismus übersetzen. Ein Teil dessen ist die Übersetzung, beziehungsweise der Übergang wie Chakrabarty Übersetzung auch beschreibt, in die Kategorien der Moderne. Sein Argument ist, dass sich Menschen, um Teil dieser Moderne/des Kapitalismus zu werden, in den Konzepten desselben denken, beziehungsweise übersetzen, müssen. Diese wären etwa „Arbeit“ und „Land“ und stehen als solche in Relation zur kapitalistischen Produktionsweise. Übersetzt man sich nicht in diese Kategorien des Systems ist man auch nicht Teil des Systems, sondern verbleibt in Abhängigkeit. Chakrabarty bleibt hier jedoch bei der Übersetzung ins Machtgefüge selbst stehen und hinterfragt die Existenz der darin existierenden Kategorien nicht.
Neben der Verwendung der Translation als Tür zu dominanten Positionen im Machtgefüge ist jedoch das Potenzial der Translation als Kritik des Machtgefüges selbst essentiell. Translation macht diese nämlich erst sichtbar. Die Perspektive als auch die Erforschung der Rolle der Translation bietet zum Beispiel eine Möglichkeit der Kritik an Nationalbildungsprozessen. Sie zeigt die Homogenität der Nation als konstruiert auf und entschleiert die naturalisierte Verbindung von Nation, Ethnizität, Kultur und Sprache (vgl. Venuti 2005: 177f). Translation arbeitet mit und über linguistische und kulturelle Differenzen und zeigt diese daher gleichzeitig auf. Dies kann am Beispiel der Beziehung von Translation und Moderne ebenfalls näher erörtert werden. Translation, in dieser Verwendung besprochen im Kapitel 1.3.2. Ausbreitung der Moderne durch Translation, wirkt an den Grenzen der Moderne und regelt diese. Gibt es Translation an der Grenze der Moderne, impliziert dies jedoch auch, dass die Moderne Grenzen hat (vgl. Vázquez 2011: 40f). Somit gibt es einen Ort jenseits der Moderne, der Vielzahl und Pluralität zulässt.
Translation, außerhalb der Hände der Moderne, ist auch horizontal und reziprok. Sie ist ein Werkzeug der Pluralität und macht diese erst möglich. So ist Translation nicht mehr dazu da Grenzen zu ziehen, sondern sie zu durchrechen und mehr als eine Wahrheit zuzulassen. „[Translation as plurality] speaks of the configuration of dialogues and the thinking of the borders that challenges the modern/colonial system of oppression.“ (Vázquez 2011: 27) Auch Selim (2009: 2) sieht Translation als Ausgangspunkt für eine epistemologische Revolution, die positivistische, „zivilisatorische“ und damit eurozentrische Wissenschaftsansätze hinterfragt und Machtstrukturen aufbricht. Rodríguez (2008: 69) legt einen Weg für diese Revolution dar. Sie argumentiert, dass sobald die Translation die binäre Logik von Original und Kopie, die nur angelehnt an europäisches dichotomes Denken Bestand hat, aufbricht, Translation dekolonial und kompromisslos wird. Eine solche Translation könnte Grenzen aufzeigen und durchbrechen, sie könnte universalistische Theorien relativieren. Im nächsten Kapitel soll der Translationsbegriff in diese Richtung geöffnet werden.

3. Translationskultur, eine Produktionsstätte

Wie kann man Translation dekolonial und kompromisslos denken? Ansätze von Bhabha (2004), Wolf (2008), Simon (1997) und Spivak (2008) werden in diesem Kapitel herangezogen um diese Frage zu beantworten. Die Notion der kulturellen Translation wird vorgestellt und hinsichtlich ihres Kritikpotenzials gegenüber der Moderne besprochen. Es wird diskutiert, wie dieser Translationsbegriff verwendet werden kann um jenseits der Kategorien der Moderne zu denken.

3.1. Transnational, translational

Was bedeutet Kultur? Wie bedeutet Kultur? Bhabha (2004: 247) beschreibt Kultur, gesehen als eine Überlebensstrategie in einer pluralen aber eindimensional gedachten Welt, als transnational und translational. Transnationalität bezieht sich in diesem Kontext darauf, dass cultural displacement die Basis des eröffneten Diskurses darstellt. Translational ist Kultur, weil sie aus diesem displacement entsteht. „The transnational dimension of cultural transformation – migration, diaspora, displacement, relocation – makes the process of cultural translation a complex form of signification.“ (Bhabha 2004: 247) Kulturelle Translation ist bedeutungsstiftend, sie ist eine Form der Bedeutung. Diese Position, so Bhabha (2004: 248), hinterfragt die Konstruktion von Kultur selbst und entschleiert die Produktion von Tradition.
Wolf (2008: 80) greift den kulturellen „Übersetzungsbegriffs “ Bhabhas auf und interpretiert ihn. Sie sieht kulturelle Translation als einen Weg, den kulturkonstruierenden Aspekt der Translation aufzugreifen. Ausgehend ist die Translation für Wolf von Kultur-Überlappungen und dem hybriden Raum der durch transnationale und translationale Kultur geschafften wird: Homi Bhabhas (2004) sogenannter Dritter Raum. Hybridität ist aktiv. Sie dekonstruiert Machthierarchien und macht das Kulturelle produktiv. Daher ist der Dritte Raum nicht statisch, er ist ein Prozess in dem Differenzen und Unbewusstes sichtbar werden. Er wird immer neu verhandelt, er ist „Handlungs- und Konfliktraum“ und somit ein Spannungsfeld das dynamisch Bedeutungen entstehen lässt. Aushandeln von Bedeutung, also Translation im Sinne Bhabhas (2004), ist das Charakteristika des Dritten Raums. Aufbauend auf dieses Verständnisses Bhabhas definiert Wolf (2008: 77) Übersetzung wie folgt:
„Übersetzung wird [in der rezenten Translationswissenschaft] nicht mehr mimetisch als sekundäres Produkt eines sakrosankten Originals angesehen, als reproduzierte, weibliche, untergeordnete Variante eines Ausgangstextes, der das männliche Starke und Aktive (Autor/Vater) repräsentiert, sondern als Produkt einer pluridimensionalen Handlung, […], an dessen Zustandekommen Subjekte beteiligt sind, die, entlang Grenzen wandelnd, die Produktion kultureller Differenz vorantreiben.“
Wolf geht somit auf die Dekonstruktion des Originals ein und stellt die produzierende Komponente der Translation in den Vordergrund. Auch Simon (1997: 463) bespricht Bhabha entlang dieses Gedankens. Translation produziert für ihn Kultur. Während früher nur privilegierte Personen („great modernist writers, translators, priviledged migrants“) in der Position waren Kultur durch Translation zu produzieren, sind es heute immer mehr postkoloniale Subjekte, die aus den Strukturen der Moderne ausgebrochen sind, die Kultur produzieren. Somit steigt die Hybridität. Simon liest Bhabha (2004) also ebenfalls im Sinne eines neuen Verständnisses von Translation. eines das Kultur destabilisiert und kulturelle Identität inszeniert.
Ein weiterer Ansatz der in diesem Kontext zu nennen ist, ist Spivaks (2008) Transkultur:
„Was Transkultur genannt wird, ist Kultur in ihrem Vollzug. Eine lebendige Kultur ist ihr eigenes Gegenspiel. Transkulturation ist nichts Besonderes oder Andersartiges, sie ist ein Moment in einer Taxonomie der Normalität dessen, was Kultur genannt wird. Sich den besonderen Auftrag der kulturellen Übersetzung oder der Darstellung kultureller Übersetzung zu erteilen muss demnach in einen politischen Kontext gestellt werden. Kulturen kann man nicht kennen, Sprachen schon. Sprachen frühen zu einem bestimmten sprachlichen Gedächtnis, das uns zu Partizipierenden an einer kulturellen Produktion macht, in der dieses irreduzible Gegenbeispiel, durch das Kultur vollzieht, zu unserer Verantwortung wird; das ist etwas ganz anderes.“ (Spivak 2008: 183f)
Translation, für Spivak (2008), bedeutet Verantwortung, da sie in einem Spannungsfeld kultureller Produktion wirkt. Hier kann eine Parallele zu Bhabhas (2004) Ansatz der kulturellen Translation gezogen werden. Translation produziert Kultur und Kultur produziert Translation. Die Moderne kann in meinem Verständnis als einen von Spivak beschriebenen politischen Kontexten wahrgenommen werden. In der Moderne wurde Translation benutzt, um die „moderne“ Kultur zu stärken und eine Hierarchie aufzubauen. Übernimmt man aber Verantwortung hinsichtlich der Translation und versteht man sie als Akteur in der Produktion von Kultur während man von einer Äquivalenz aller Sprachen ausgeht und kulturelle Produktion und Sprache an sich schon und als Translation ansieht, so kommt es zu einer wahrlich globalisierten, pluralen Welt (vgl. Spivak 2008: 191).

3.2. Jenseits der Moderne

Translation wurde in der Moderne als kontinuierlich und adäquat angesehen. Dies spiegelt sich in ihrer Verwendung während der Moderne wieder. Der Originaltext war heilig, auch wenn er diesen Rang zu diesem Zeitpunkt erst für relativ kurze Zeit innehielt. Zusätzlich wurde sie als Werkzeug dafür gesehen einen einheitlichen, universalistischen Kanon an Literatur und Gedankengut zu produzieren (vgl. Simon 1997: 475). Diese Ansicht auf Translation lässt sich heute nicht mehr halten, obgleich fraglich ist in wie weit die universalistischen Bestrebungen je darin Erfolg hatten eine Wahrheit zu konstruieren. Ein Blick auf die besprochene Moderne zeigt zwar die Macht eines Diskurses wie dem Okzidentalismus, jedoch zeigt die Existenz des Diskurses selbst schon seine Grenzen auf.
„The way we imagine translation is changed by the fact that the worlds which it seeks to bridge are already to some extent informed by plurality, are already saturated with a logic of translation.“ (Simon 1997: 475) Simon unterstreicht hier einen wichtigen Punkt, nämlich, dass die Welt ein Ort der Pluralität ist. Die Metapher der Translation als Brücke zwischen verschiedenen Welten ist hinterfragbar im Sinne ihrer Zugehörigkeit zu einer Ansicht die Simon eigentlich kritisiert: ist die Welt plural so wird jegliche Einteilung in bestimmte Welten und Kulturen hinfällig. Welt und Kultur sind hybride und in und nicht zwischen ihnen findet Translation statt. Wolf (2008: 77) unterstützt diese Ansicht; sie präzisiert:
„Die Sicht von Übersetzung als ‚Brücke zwischen Kulturen’ gerät somit ins Wanken bzw. wird obsolet, findet doch – in Anlehnung an postkoloniale Kulturtheorien – der übersetzerische Transfer zwischen Kulturen statt, die bereits in sich kontaminiert sind.“
Der Fokus der Translation verschiebt sich vom Transfer zwischen ‚Kulturen’ auf Translation verstanden als Konstruktion und kulturelle Produktion (vgl. Wolf 2008: 77). Kulturelle Produktion findet in der unbestimmten Temporalität des hybriden Dritten Raumes statt. Die Temporalität lässt sich nicht über „progressive“ Einteilungen in Vergangenheit und Gegenwart stecken, ebenso wenig wie die kulturelle Produktion über Translation in der dichotomen Logik des „Originals“ und ihrer „Kopie“ Platz hat (vgl. Bhabha 2004: 325). Translation ist kulturelle Kommunikation, sie ist positionierte und artikulierte Sprache (vgl. Bhabha 2004: 326). „Cultural translation desacralizes the transparent assumptions of cultural supremacy, and in that very act, demands a contextual specificity, a historical differentiation within minority positions.“ (Bhabha 2004: 327) Es bedarf einer Wahrnehmung der Situativität und der Subjektpositioniertheit ohne eine Reduktion auf dichotome Kategorien. Dies gelingt durch eine Öffnung des Diskurses hinsichtlich der Narrativen des displacements, diese stehen dem westlichen Diskurs der Moderne gegenüber, hinterfragen und dekonstruieren ihn (Bhabha 2004: 345f).
Postkoloniale, kulturelle Translation ist „performativ“ und „deformativ“, sie lagert Wertigkeiten nicht um, sondern hinterfragt die Existenz der Wertigkeiten selbst (Bhabha 2004: 346). Dies gelingt durch ihre Situativität im Dritten Raum. Der Dritte Raum liegt nicht in einer Negation oder Umkehrung der Moderne, er entsteht im Austreten aus und im gleichzeitigen Festhalten an der Moderne, in der Transzendenz von Zeit und Raum, im Zurücklassen von Dichotomien wie Innen/Außen, modern/traditionell (vgl. Bhabha 2004: 265f). „Making problematic its own discourse not simply ‚as ideas’ but as the position and status of the locus of social utterance.“ (Bhabha 2004: 348) Der Dritte Raum ist keine „identitässtiftende Einheit“ sondern ein Prozess in dem Wertigkeiten und Denkeinheiten ständig neu ausgehandelt werden (vgl. Wolf 2008: 81).
„Wird der Aspekt des Aushandelns im Übersetzungsprozess berücksichtigt, so impliziert dies zunächst, dass Strategien der Abgrenzung und der Ausgrenzung keine Relevanz mehr haben. Vielmehr kommen antagonistische und oppositionelle Elemente beim Aushandeln im Dritten Ort zu Wort und werden als negative Polaritäten aufgelöst, das Scheitern von Übersetzungs- und Vermittlungsbemühungen wird transparent gemacht, obwohl dabei freilich Antagonismen nie ganz aufgehoben werden können.“ (Wolf 2008: 81)
Translation konzeptualisiert in Verbindung mit dem Dritten Raum ist dekoloniale, kulturelle Translation die die Aushandlung von Bedeutungen anerkennt und mit ermöglicht. Dieser Ansatz war der Translation als Tätigkeit schon in ihrer Definition als linguistisch inhärent, ist der Akt des Vermittelns doch nur über einen Aushandlungsmoment möglich (vgl. Wolf 2008: 81). Erweitert man den Translationsbegriff durch Bhabhas (2004) Ansatz werden die konstruktionsrelevanten und ideologiekritischen Faktoren der Translation ersichtlich.
Kulturelle Translation bezieht sich also nicht, wie etwa besprochen an Hand von Chakrabarty (2015), darauf, sich in die Kategorien des Machtgefüges zu übersetzen. Ein „sich übersetzen“ ist essentiell um an der globalen Wirtschaft teilnehmen zu können, doch letztendlich erhält es dieselben Strukturen die diese Form der Übersetzung nötig machen. Kulturelle Translation nach Bhabha (2004) bezieht sich auf eine Bedeutungsstiftung, die zwischen und über Kategorien hinausgehend wirkt. Um auf North Atlantic universals von Trouillot (2003), und somit auf die Macht von Kategorien eine Welt zu bestimmen, zurückzukommen, beschreibt kulturelle Übersetzung die Fähigkeit nicht die Namen vor die Bedeutung zu stellen, sondern die Bedeutung vor die Namen.

Conclusio

Der Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Frage, inwiefern Translation als eine Kritik der Moderne verstanden werden kann. Für diesen Zweck wurde die Moderne als hegemonialer Kontext besprochen und Translation sowohl in ihrem Verständnis als linguistischer Transfer als auch in ihrem Verständnis als Metapher vorgestellt. Im Laufe der Arbeit wurde versucht an Hand der Translation, des Translationsbegriffes und der Translation als Metapher die „westliche“, als universal dargestellte, Perspektive zu dekonstruieren.
Der Kontext auf den diese Arbeit näher einging war die Moderne. Die Moderne wurde im Kapitel 1.1. Die Moderne, eine Perspektive nicht auf ihre Definition als zeitliche Periode begrenzt, sondern als Perspektive besprochen. Hier wurden dekoloniale theoretische Ansätze von Mignolo (2011) und Quijano (2000, 2007) herangezogen um die Moderne in Zusammenhang mit dem Kolonialismus und einer noch anhaltenden Kolonialität zu stellen. Festgestellt wurde, dass die Moderne ohne Kolonialismus und Kolonialität nicht möglich gewesen wäre. Dies entlarvt die Moderne als eine Perspektive, die nur einen Teil der Wirklichkeit repräsentiert und einen anderen verschleiert. Repräsentiert wird die Ansicht des „Westens“, weshalb Trouillot (2003) die Moderne als North Atlantic universal beschreibt. North Atlantic universals beschreiben Kategorien und Narrativen des „Westens“, die als universal gedacht werden. Trouillot weist mit diesem Ansatz auf die Konstruktion eines „Westens“ als gedachter Ort der Perspektiven und Vorstellungen hin der oft mit dem nördlichen Atlantik als geographische Einheit gleichgestellt wird.
Die perspektivische Trennung zwischen der Moderne und des Kolonialismus beziehungsweise der Kolonialität lässt sich umlegen auf die Trennung in „wir“ und „die Anderen“. Diese Trennung vollzog der „Westen“ um sich im globalen Machtgefüge an die Spitze zu positionieren. Sie stellt gleichzeitig die Basis für den Diskurs des „Westens“ dar, den Okzidentalismus, besprochen in Kapitel 2.1.1. Okzidentalismus. Dieser Diskurs war aktiv in der Verbreitung der Vormachtstellung des „Westens“ auf einer globalen Ebene und wirkte gemeinsam mit Konstrukten wie Rationalität in der Festigung der Einteilung in „wir“ und „die Anderen“. Die Rolle der Rationalität, näher dargelegt in Kapitel 2.1.2. Wissensproduktion, Rationalität und Kolonialität, bestand in der Erhebung des Menschen (im Ausgangspunkt gedacht als männlich, europäisch und weiß) zum Status des Subjekts. Dieser Status konnte nur erreicht werden, funktionierte man in den Kategorien des „Westens“. Erreichte man diesen Status nicht blieb man ein zu „entwickelndes“, „zivilisierendes“ Objekt.
Die Macht der Translation wurde beispielhaft anhand Nationalbildungsprozessen im Kapitel 1.3.1. Translation für die Nation gezeigt, da diese ein Charakteristikum der Moderne darstellen. Translation ist hegemonial, sie dient der Hegemonie, sowie Hegemonie translatorisch ist. Hegemonie ist insofern translatorisch, als dass Identitätskonstruktionen und hegemoniale Diskurse wie der Okzidentalismus ohne Translation nicht auskommen. Im Falle der Nationalbildungsprozesse während der Moderne kann dies in den In- und Exklusionsprozessen beobachtet werden, die die Bildung von Nationen erst ermöglichten. Auch in der Moderne im Allgemeinen wirkte Translation auf der Seite der Hegemonie, Translation wirkte als Inkorporationsmechanismus und überschrieb Narrativen die außerhalb der „westlichen“ Perspektive lagen. Sie war außerdem Hüterin der Grenzen der Moderne, deren Wirkungsraum Vázquez (2011) als modernity’s epistemic territory bezeichnet. Hier können Parallelen zur Wissensproduktion und Rationalität in der Moderne gezogen werden.
Translation als Hüterin der Grenze der Moderne impliziert jedoch auch, dass es eine solche Grenze der Moderne gibt. Somit öffnet sich hier die Diskussion hinsichtlich der ersten Form von Kritik der Translation an der Moderne. Eine weitere Form der translatorischen Kritik wurde in Kapitel 2.2. Das europäische „Original“ besprochen. Translation enttarnt das europäische „Original“ als alles andere als originell, sie zeigt es als Unterdrückungsmechanismus auf der seine Universalität und Originalität nur vortäuscht. In Kapitel 2.3. Sich in Machtgefüge übersetzen wurde Translation als Methode besprochen, die es subordinierten Personen erlaubt sich in die Kategorien der dominanten Gruppe zu übersetzen. Auch hier kann Translation in weiterer Folge als Kritik gesehen werden, da sie die Machtgefüge durch ihr Wirken an dessen Grenzen erst sichtbarmacht.
Translation kann demnach in vielerlei Hinsicht als Kritik der Moderne verstanden werden. Ihr vielleicht größtes Kritikpotential liegt jedoch in der Öffnung der Moderne hinsichtlich einer pluralen anstatt konstruiert universalen Welt. Dies wird durch kulturelle Translation ermöglicht und in Kapitel 3. Translationskultur, eine Produktionsstätte anhand Bhabha (2004), Wolf (2008), Simon (1997) und Spivak (2008) eingehend besprochen. Kulturelle Translation ist dekolonial und kompromisslos, sie wirkt jenseits der dichotomen Einteilung in „Original“ und „Kopie“ und produziert aktiv Kultur. Die Positioniertheit der kulturellen Translation im Dritten Raum, konzeptualisiert von Bhabha (2004), macht dies möglich. Er bezeichnet einen Ort der stetigen Aushandlung von Bedeutungen. Mit diesem erweiterten Verständnis der Translation wird die Moderne nicht nur kritisiert, sondern aktiv dekonstruiert und neue Räume der Konversation und kulturellen Produktion geöffnet.

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